Familienurlaub im Wohnmobil. So weit, so gut. Worüber wir reden müssen: Über Familien mit Neurodivergenz an Bord. Nein, das ist nicht der Name unseres Labradors. Der fängt auch mit H an, ähnlich wie das Wohnmobil. Ich schweife ab, das macht man so, als Mutter mit ADHS – sorry.
Das Wohnmobil Hugo, die rollende Therapie-Schüssel
Quizfrage: „Was passiert, wenn man eine neurodivergente Familie in ein Wohnmobil packt und vier Wochen durch die Lande fährt?“
Antwort: Ein Roadtrip, den man so schnell nicht vergisst! Ein Querschnitt durch Chaos, Struktur, Tränen, Wut und Hilflosigkeit. Aber auch mit viel Herzlichkeit, Abenteuern, lautem Lachen, Kindergarten-Witzen und neuen Erfahrungen, an denen alle wachsen.
Familienurlaub auf engstem Raum mit vielen unterschiedlichen Bedürfnissen und einer Homebase – klappt das einfach so? Spoiler: Nein.
ADHS im Wohnmobil: Die Kunst des Umräumens & Verstauens
Sollten wir es schaffen, relativ pünktlich unser Zuhause zu verlassen (manchmal brauchen wir doch noch einen Tag extra um loszufahren), dann hat alles seinen Platz. Viel ist da ja nicht, daher sitzt jeder Handgriff. Kästen mit Schuhen unterm Flur, Essen im Kühlschrank, Kleidung im Schrank und Mückenspray in Reichweite. Kinder und Snackpakete angeschnallt, Pässe verstaut.
Nach der ersten Pause hat sich das schon relativ schnell erledigt, das mit der Ordnung. Ausgepackte Rucksäcke, der Inhalt großzügig im Wohnmobil verteilt: Das Schleichpferd wohnt jetzt in der Tasche neben Mückenspray und Batterien, meine Schuhe stapeln sich im Eingangsbereich, Comics schmücken den Innenraum.
So geht das nicht, also wird beim nächsten Halt wieder umgeräumt. Nicht alles, nicht falsch verstehen. Aber Schuhe unterm Flur, das ist ja so unpraktisch. Eine neue Lösung muss her. Unterm Tisch gehts auch. Bis wir halt dort saubermachen müssen. Dann liegen die ja wieder im Weg.
Ich bin ja sehr gespannt darauf, wie wir die erste Reise mit Hund wuppen werden. Wo er seinen Platz finden wird und wo wir das Futter verstauen werden. Bisher hatte ja alles seinen Platz (zumindest ungefähr).
Ganz gefährlich wird es für uns übrigens, wenn wir Dinge unterwegs kaufen. Schöne Kerzenhalter für gemütliche Abende. Neues Spielzeug vom Trödelmarkt (ich erinnere hier an den antiken Kinderwagen für Puppen aus Holz). Oder neue Kleidung, manches vergisst man ja doch. Oder Souvenirs. Und die gesammelten Steine und Muscheln erst! Da ist sie wieder gefragt, meine Kreativität.
Freunde haben uns geraten, einen Wohnwagen zu kaufen, damit man länger und praktisch an einem Ort stehen kann. Genau das vermeiden wir konsequent. Klar ist es auch schön, mal einige Tage an einem Ort zu bleiben, wo es schön ist. Aber irgendwann schlägt der Lagerkoller zu. Da schlägt das Zickigkeits-Barometer heftig aus und Hugo wetzt die Räder: Auf ins nächste Abenteuer!

Routine & Rückzug: Der krasse Gegensatz zum Nomadenleben
Einige Familienmitglieder lieben Strukturen, feste Rituale und Routinen. Alles soll aufgeräumt sein, klare Ansagen, feste Plätze. Auf ein „Wohin fahren wir?“ ist die Antwort „Keine Ahnung, lassen wir uns doch treiben“, der Mega-Gau. Leider betrifft mich das selbst auch – ich schwanke zwischen neuen Abenteuern und Routinen. Das wechselt leider sehr schnell und macht den Urlaub mit mir nicht gerade… harmonisch?
Dafür rette ich jeden Roadtrip (ohne feste Route) mit außergewöhnlich tollen Stellplätzen, die ich während der Fahrt recherchiere. Vier Wochen Dänemark mit traumhaften Aussichten und Möglichkeiten sprechen da für sich. Leider sehe ich in der Zeit nicht viel von der Gegend, weil ich ins Handy starre, auf der Suche nach den BESTEN! Optionen. Aber Plätze wie zum Beispiel in Liechtenstein mit Pool und Bergblick entschädigen dann dafür.
Reisen im Wohnmobil mit Fibromyalgie – ewige Kissenschlacht
Durch meine Fibromyalgie war ich oft sehr eingeschränkt. Das hat sich ja zum Glück stark gebessert, ich bin fast schmerzfrei durch einige Änderungen in meinem Leben. Aber manchmal holt mich sie ein, oder ist es das Alter? Nein, Spaß beiseite, es gibt auch schlechte Tage. Und früher gabs die halt auch unterwegs. Mein Rucksack an gesammelten chronischen Krankheiten ist zeitweise recht schwer gewesen und in einem engen Wohnmobil aus den 90er Jahren ist das Reisen nicht immer einfach.
Vor allem, wenn du dich mit einem Kind ins 80 Zentimeter breite Bett quetschst, weil es noch nicht allein schlafen kann. Oder dich im Mini-Bad versuchst zu stylen, inklusive Haare waschen. Ganz ehrlich: Trotz allem war und ist das Reisen mit Wohnmobil und Fibromyalgie eine tolle Art zu reisen, da man sein Zeug immer dabei hat. Wer eine spezielle Matratze bräuchte, hat die halt einfach dabei. Das ist bei uns nicht der Fall, nur ein Beispiel. Und in Bewegung sind wir auch ständig, also nicht nur das Fahrzeug, um neue Städte und Gegenden zu entdecken. Bewegung hilft ja bekanntermaßen bei Fibro.
Komfortabel und bequem reisen, das ist das Ding mit chronischen Krankheiten und Schmerzen. Ein ganz großer Pluspunkt ist die zunehmende Gelenkigkeit, falls ein Baby im unteren Stockbett gewickelt werden muss. Oder das Klettern ohne Leiter auf den Alkoven. Das Balancieren über Sitze. Streckübungen, um an die Teller zu kommen.

Das fahrende Restaurant
Vor kurzem hat die Uni Leipzig eine Studie zum Thema ARFID durchgeführt. Aus Gründen habe ich daran teilgenommen und festgestellt, das das wohl so ein Familiending ist und nicht nur eine Person betrifft. Ganz wunderbar. Als Teenie und junge Erwachsene hatte ich so oder so mit Essstörungen zu kämpfen und muss bei jeder Ernährungsform aufpassen wie ein Luchs, nicht zu übertreiben. Das ist mir jetzt glücklicherweise bewusst. Leider bringt das mit sich, das am liebsten nur bestimmte Sachen gegessen werden.
Unser Kühlschrank hat also oft nicht so viel von anderen Kulturen, außer denen im Joghurt. Der wird morgens nämlich bevorzugt gegessen. Von mir. Ja, ich esse auch andere Dinge. Aber es soll mir ja auch gut tun. Und Hotdog zum Frühstück hat keine so gute Bilanz, auch wenn es schmeckt. Letztlich ist unser Hugo ein kleines feines fahrendes Restaurant.
Große Katastrophe direkt nach dem Aufstehen, wenn der Griesbrei leer ist. Oder das Müsli. Und dann kein Bäcker in der Nähe. Zum Glück kommt das selten vor und unsere Familie passt sich regional an. In anderen Ländern gibt es ähnliche Lebensmittel, die lecker schmecken. Und manchmal testen wir ganz neue Sachen, kommt auch vor. Im Nachhinein kommt mir mein Besuch auf dem Nachtmarkt in China ungeheuer mutig vor. Da überwog wohl noch die Abenteuerlust.
Reisen mit dem Wohnmobil – der wahre Test für jede neurodivergente Familie
Also eigentlich bietet das Reisen mit Wohnmobil mit ADHS und Co. Raum für viele negative Seiten. Nichtsdestotrotz (wunderschönes Wort, was?) überwiegen die Vorteile für uns.
Wir lieben es, auf engem Raum zusammen zu sein. Jeder hat trotzdem sein eigenes Reich. Es fällt nicht so viel Alltagskram an und saubergemacht sind die paar Quadratmeter auch schnell. Und ist ein Platz mal nicht so toll, fahren wir einfach weiter. Wir müssen nichts buchen, können auch einfach nach Hause fahren oder eine völlig andere Route fahren. Oft biegen wir spontan von der Autobahn ab auf den Weg in den Norden, um den großen braunen Schildern zu folgen, die tolle Sehenswürdigkeiten versprechen. Wir wurden noch nie enttäuscht.
Mit jeder Reise werden die Kinder selbstständiger und wir Eltern können auch gemeinsame Zeit genießen. Wir ermöglichen jedem Familienmitglied auf der Reise, seinen Interessen nachzukommen.
Kurz: So ein Wohnmobilurlaub ist maximal flexibel. Und wir wachsen daran, das wir auch mal unsere Komfortzonen verlassen müssen. Und das ist der Punkt.
Bilder: Archiv, Luc Bar Titelbild: KI-generiert
Persönliche Empfehlung – Buchtipp