Unsere Grundschule ersetzt die Bundesjugendspiele durch Bundesjugend-Wettbewerbe und ich bin mir noch nicht sicher, was ich davon halten soll. Auf der einen Seite sehr löblich, dass Sport nicht nur Wettkampf, sondern auch Spaß und Spiel bedeuten kann. Andererseits dürfen Kinder durchaus mit Schwächen konfrontiert werden.
Vor Jahren legte eine Konstanzer Mutter eine Petition vor, in der sie die Abschaffung der Bundesjugendspiele forderte. Der Grund: Ihr weinender Sohn, der “nur” eine Teilnahmeurkunde mit nach Hause brachte. Ich kenne die Mutter durch meine Blogarbeit, sie ist eine sehr engagierte Frau. Ich verstehe auch ihre Position, in der sie davon spricht, dass “Schüler demotiviert werden” und dass leistungsschwache Kinder wenig Chancen haben.
Ich möchte kurz aus dem Nähkästchen plaudern. Ich war sehr schlecht in Mathe. Von der fünften Klasse an. Und zwar so schlecht, dass sich Lehrer gedacht haben, da hauen wir verbal noch einmal drauf und demütigen das Mädchen direkt vor der ganzen Klasse. Das war demotivierend. Ich hatte keine Chance, ich war in Mathe leistungsschwach – trotz Nachhilfe & Co. Mathematik ist aber wichtig. Meine Eltern wären im Traum nicht darauf gekommen, mir das Lernen oder die Konfrontation mit dem Schulfach zu ersparen. Ebenso wichtig ist Sport.
Sport ist ein Unterrichtsfach, BJS die Prüfungen
In einer Nation, in der Kinder immer dicker, immer unsportlicher werden, muss Sport priorisiert werden. Neben der gewaltigen Bildungslücke und dem Fachkräftemangel, aber das ist ja wieder ein anderes Thema.
Befürworter der Abschaffung sagen dann “Ja aber, unmusikalische Kinder müssen ja auch nicht im Chor mitsingen, ist ja freiwillig!” Wisst ihr was? Nonsens. Notenvergabe, Unterrichtsfach Musik, anno 1994: “Victoria, sing bitte vor!” (…) “Machen wir eine vier minus und kürzen an dieser Stelle ab, danke!” *Gelächter
Spott und Hohn auch außerhalb der Sporthalle
Ich musste viel Spott ertragen, viel Hohn, von Schülern wie Lehrern. Ich habe gelernt und gelernt, es hat nicht geholfen. Heute weiß ich: Es lag am ADHS. Aber in Sport, da war ich meistens ganz gut. Nicht immer, aber oft. Zu einer Ehrenurkunde hat es auch nur beim Schwimmen gereicht, sonst gab es bei den Bundesjugendspielen immer nur den Standard. Beim 400- oder 800 m-Lauf war ich nämlich grottenschlecht.
Antimobbing-Training & gewaltlose Kommunikation
Ja, das sind eigene Erfahrungen. Und was zeigen diese Erfahrungen? Nicht das Schulfach ist das Problem, sondern wie Lehrer*innen und SuS miteinander kommunizieren. Lehrende Personen müssen hier Vorbild sein und dürfen Hänseleien nicht dulden. Striktes Vorgehen gegen Mobbing durch spezielle Trainings und das Üben von guter Kommunikation gehören heutzutage in jede Schule. Die Konfrontation mit den eigenen Schwächen hingegen zu streichen, halte ich für falsch.
Niederlagen richtig begleiten
Ist es doch die Chance für uns, Kindern Erfahrungen fürs Leben mitzugeben, sie zu begleiten. Kinder dürfen lernen, auch mal zu verlieren. Selbstverständlich ohne Hohn und Spott. Aber das ist Sache der Lehrenden, Organisatoren und den Elternhäusern. Denn auch Eltern sind dafür mitverantwortlich, wie sich der Nachwuchs anderen gegenüber verhält.
Scheitern nicht an Selbstwert koppeln
Nimmt man den Kindern die Chance, sich im Wettkampf zu messen, nimmt man ihnen den Ansporn. Wir lernen häufig viel aus Niederlagen, und das meine ich durchaus positiv. Scheitern sind Chancen, das müssen wir vermitteln. Und Scheitern, das müssen wir lernen. Nur so können wir gesund aus Misserfolgen herausgehen. Aber es fällt uns schwer, Niederlagen einzustecken, machen wir uns nichts vor.
Wir dürfen das Fehlermachen nicht mit einem Versagen gleichsetzen, das ist das eigentliche Problem. Wir sind alle zu sehr von der Außenwirkung abhängig. Wir sind aber nicht unsere Niederlagen oder Siege, gleichwohl uns TV-Formate wie Germanys next Topmodel selbiges suggeriert.
Vermeiden von Niederlagen wirkt Jahre nach
Über die Bundesjugendspiele und den Schulsport schreibt auch eine Bloggerin in “Wie ich lernte, den Schulsport zu hassen“. Und der Text ist ein Paradebeispiel dafür, dass Niederlagen hier nicht gut verarbeitet wurden und damit dem eigenen Selbstwert schaden: (…) “Nein, seit einer Schulzeit voller negativer Sport-Erfahrungen halte ich mich für eine Versagerin. Jemand, der einfach unsportlich ist und Bewegung grundsätzlich nicht „kann“. Im Grunde hat der Schulsport bei mir genau das Gegenteil von dem erreicht, was er wohl eigentlich sollte: Er hat mir jeglichen Spaß an Bewegung und Lust auf Sport genommen.” (…) Was soll ich sagen, so ging es mir damals auch, mehrfach im Jahr, mein Problem war ja das Unterrichtsfach Mathe. Da hatte ich auch Bauchgrummeln, war krank, habe geweint und war der Überzeugung: Mathe kann ich halt nicht. Aber so einfach ist das ja nicht. Frau hatte ja einige Jahre Zeit zum Reflektieren. Aber zurück zum Thema:
Wer seinen Kindern keine Niederlagen zumutet, schadet ihnen mehr als er hilft. Forschungen in den USA haben gezeigt, dass das Vermeiden von Niederlagen gerade bei ängstlichen Menschen zu mehr Schamgefühl und u.U. zu Depressionen führt. Darunter leidet der Selbstwert erheblich…
Ich freue mich auf deine Kommentare zum Thema,
deine Victoria
Zum Weiterlesen
Spiegel – Umgang mit dem Scheitern
10 Gründe für die Bundesjugendspiele
Kindern bei Niederlagen unterstützen
Wie motiviert man Kinder nach Niederlagen