ADHS-Diagnose als Erwachsene: Was so einfach klingt, ist in Wahrheit kein Sprint, sondern ein Marathon. Wir haben zwar 2024, aber tatsächlich ist das auch noch nicht bei jedem Facharzt angekommen. Das soll kein Ärzte-Bashing sein, aber was man auf dem Weg zur Diagnose so erleben kann, stimmt mich nachdenklich. Dabei ist die richtige Diagnose eine unfassbare Erleichterung.
Ich habe ADHS. ADHS war von mir in etwa so weit weg wie der Mars. Niemals wäre ich auf die Idee gekommen, ADHS zu haben. Als Elternbloggerin folge ich vielen anderen Müttern. Und eine hatte angefangen, ADHS-Content zu teilen, auf Instagram. Vorwiegend auf englisch. Ich weiß gar nicht mehr, wann das war und was das genau für ein Beitrag auf Instagram war, aber beim Lesen dachte ich nur „Oh haha, klingt voll nach mir, wie lustig“. Und dann war es das wieder. Der Algorithmus hat sich das Interesse aber gemerkt, und ich bekam mehr Content zu ADHS.
Und dann knallte der Hyperfokus – die Fähigkeit, sich in ein Thema so zu vertiefen, dass man darin zur Expertin wird: Ich sammelte geballtes Wissen über ADHS bei Erwachsenen, bei Frauen. Ich fand Frau Dr. Neuy, eine Koryphäe auf dem Gebiet. Ich kaufte ihr Buch (das zweite über weibliche ADHS bekam ich dann von meiner Mutter, danke nochmal) und habe die Fragen auf der Website durchgearbeitet. Danach war ich fassungslos:
Was wäre aus mir alles geworden, hätte man ADHS als Kind entdeckt?
Ehrlich, das war ein Schock. Irgendwie auch Erleichterung, dass man kein Alien ist. Aber dann die Trauer, dass ein normales Leben nicht möglich war. Verpasste Chancen durch Planungsdefizite.
Ich wusste, ich brauche eine Diagnose. Eine richtige. Sonst glaubt das ja wieder keiner. Kann ja nicht so schwer sein. Eingeweihte wissen: Hahahahaaaaa!
ADHS Diagnose in Augsburg oder München?
Frohgemut wollte ich nun auch bei Dr. Neuy einen Termin klarmachen, aber sie ist leider so gefragt, da war nichts frei. Ich wühlte mich durch Adressen, googelte, telefonierte. Entweder spezialisiert auf Kinder oder keine Kapazität. Oder eine Wartezeit von 12 Monaten. Nein, das konnte ich nicht akzeptieren, das musste jetzt sofort sein! Ich will endlich Gewissheit!
In München wurde ich fündig, für Privatzahler. Kein billiger Spaß, aber mein Leidensdruck war groß. I mean, die 40 liegt schon hinter mir und wer weiß, was noch kommt.
Im Oktober 2022 fuhr ich nach München. Ganz alleine. Ich war viel zu früh da, wie meistens. Aus Angst zu spät zu kommen, fahre ich immer viel zu früh los. Leider lerne ich nicht daraus, aber besser so, als anders. Pünktlichkeit ist ja auch Höflichkeit, denke ich mir.
Diagnose ist Erklärung: Endlich kein Alien mehr
Ich hoffe so sehr auf die Diagnose: Endlich DIE Erklärung für mein verkorkstes Leben. Für die Fails und falschen Freunde, für Burnouts, Wutanfälle und fehlendes Durchhaltevermögen. Für die Schulprobleme, für meine Erinnerungslücken, für so vieles. Im Nachhinein auch für die Fibromyalgie und Dyskalkulie (letztere gabs offiziell damals noch nicht).
Lange Rede, kurzer Sinn: Nach knapp drei Stunden hatte ich die Diagnose. Medikamente wären bei meiner Form sehr förderlich, aber ich habe das tatsächlich noch nicht in Angriff genommen (aus anderen gesundheitlichen Gründen).
Wie viele von euch Müttern haben bitte ADHS?
Die ADHS Diagnose war nicht nur für mich
Ich wollte die Gewissheit, die offizielle, damit man mir glaubt. Weil ich im Leben die Erfahrung gemacht habe, dass mir oft wenig geglaubt wurde. Sei es aufgrund der hohen Schmerzempfindlichkeit oder des Mobbings in der Schule. Es war nicht alles halb so wild. Es war furchtbar schlimm. Und die Diagnostik habe ich auch für unsere Familie gemacht. Zu wissen, dass ich einiges wirklich nicht absichtlich tue, entspannt den Alltag dann doch etwas mehr.
Und wie geht es jetzt mit der ADHS Diagnose weiter?
Mittlerweile haben wir herausgefunden, dass wir eine ziemlich neurodivergente Familie sind. Hier gehe ich auch nicht ins Detail, zum Schutz der Kinder. Meine eigene Reise ist noch nicht zu Ende, auf mich wartet noch eine Autismus-Diagnostik. Außerdem werde ich mich nach Abschluss meiner Behandlung bei einem renommierten Hormonzentrum in München um meine ADHS-Medikation kümmern. Aber eins nach dem anderen.
Ich bilde mich ständig weiter und entwickele Strategien, um die Mutter zu sein, die ich dachte, die ich sein werde. Das das gründlich in die Hose ging (und ich mich fragte, warum nur), muss ich wohl nicht erwähnen. Mit der Diagnose konnte ich endlich reflektieren und Trigger herausfinden. Ich arbeite ständig an mir und versuche, mich in Geduld zu üben.
Warum ist die ADHS Diagnose für Mütter eigentlich so wichtig?
Ich möchte da über mich sprechen, weil ja letztlich jeder anders tickt. Darum war für mich die Diagnose so wichtig:
- Mit unerkannter ADHS gehen oft Angstzustände oder Depressionen einher und die werden nicht besser, wenn die ADHS unerkannt und unbehandelt bleibt
- Gefühls- und Wutausbrüche bei Überforderung – und diese erreichen Mütter auch ohne ADHS ziemlich schnell: Zum Wohl der eigenen Familie ist das Erkennen einer ADHS immens wichtig
- Chronische Schmerzen kommen sehr häufig von unerkannten ADHS. Auffällig viele ADHSler haben Fibromyalgie. Das liegt am chronischen Stress und mitunter Traumaerfahrung.
- Ständige Erschöpfung: Werden ADHS oder Autismus nicht erkannt, sind Betroffene sehr häufig erschöpft.
- Essstörungen wie Binge Eating, Arfid und Co.: Essen ist Dopamin. Um sich zu beruhigen oder um Ausgleich zu suchen, essen Mütter mit ADHS häufig Snacks, immer ähnliche Dinge oder schnell große Mengen weil keine Zeit
- Vergesslichkeit durch unbehandelte ADHS: Gerade wer Kinder hat und für Kinder mitplanen muss, tut sich einen Gefallen, bei ADHS Verdacht einen Facharzt aufzusuchen
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Wer erstellt die ADHS Diagnose bei Erwachsenen bzw. Frauen?
Ich empfehle, wirklich zu ausgewiesenen Fachärztinnen oder Fachärzten für ADHS zu gehen. Die Diagnose sollte nach den Leitlinien erfolgen, bei sehr erfahrenen Ärzten kann die die Diagnostik mit vorab ausgefüllten Fragebögen auch nach einer Sitzung abgeschlossen sein. Das gilt übrigens nicht für Kinder (hier sind mehrfache Sitzungen nötig gemäß Leitlinien).
Bekommt man immer Medikamente bei ADHS?
Medikamente dürfen auch nicht alle Therapeuten verschreiben, da diese dem Betäubungsmittelgesetz unterliegen. Und auch nicht alle Fachärzte wollen das, muss ich ergänzen. Medikamente dürfen Fachärzte für Psychotherapie oder Neurologie verschreiben. Aber nicht immer sind Medikamente nötig, das kommt auf den Leidensdruck und die Veranlagung an.
Viele Fachärzte verweisen auf Schulzeugnisse, die sie einsehen wollen. Wer sie nicht mehr hat, das ist kein Drama. Auch gute Grundschulzeugnisse sind nicht zwingend Indikator, mit entsprechendem Intellekt können ADHS Betroffene das gut ausgleichen.
Was kostet eine ADHS Diagnostik bei Erwachsenen bzw. Müttern?
Termine für eine ADHS Diagnostik für gesetzlich Versicherte sind rar. Auch die Fachärzte sind dünn gesät. Ich habe damals entschieden, Geld dafür in die Hand zu nehmen und zu einer Privatpraxis zu gehen. Das ist nicht für jeden machbar, das ist klar. Gesetzlich Versicherte können bei ihrer Krankenkasse anfragen bzgl. Facharzttermin oder bei der Tel. 116117.
Privat bzw. als Selbstzahler zahlt man in der Regel um die 300 Euro. Fragt bitte immer vorab an, um da böse Überraschungen zu vermeiden. In München nehmen Fachärztinnen manchmal Honorare um die 400 Euro (3,5-facher Satz üblich).
Hier geht es zu einem Buch über weibliche ADHS von Dr. Neuy, das ich selbst gelesen habe und sehr empfehle (Affilliatelink).
Weibliche AD(H)S: Wie Frauen mit AD(H)S erfolgreich, selbstbewusst und stabil leben können
Danke für deine Unterstützung <3
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